Graffiti-Festival im Schlachthofviertel

Graffiti-Festival im Schlachthofviertel

Nicht nur den 30-jährigen Geburtstag der deutschen Einheit schrieb der 3. Oktober 2020, Europas Graffiti-Crews versammelten sich zu einem friedvollen Protest der Nächstenliebe an der Hall of Fame im Schlachthofviertel. Circa 80 Künstler, darunter Gäste aus Berlin, Basel, Hamburg, Heidelberg, die bekannten Crews aus München (ABC, blauer Vogel, City Slickaz, KGB uvm.) sprühten an der berüchtigten Wand.

Flyer "Return of the Boom-Letters"

München in seiner Ambivalenz

Schlachthofviertel. Isarvorstadt. Künstlerviertel. Alles eine Suppe. Je nach Gesinnung genießen die Straßen in und um den Schlachthof herum viele Reputationen. Die Gentrifizierung ist in vollem Gange, die Projekte hinter den Baustellen reichen von luxuriösen Apartmentkomplexen, zum Kulturzentrum bis zum neuen Volkstheater. Manch Alteingesessenem schmeckt die Suppe gar nicht, vor allem riecht sie häufig übel. Und zwar dann wenn sich der faulige Geruch der Schlachterei im Hochsommer wie eine Wolke über das Dreimühlenviertel legt. Und doch genießt der Wohlstand seinen Fisch im gehobenen Restaurant „Atlantik“ nebendran oder besucht eine politische Satire im Kabarett, trinkt ein günstiges Bier in der Bar, schlendert durch die jugendlichen Straßen oder lässt die Kunst hochleben. München in seiner Ambivalenz. Was dem Einen makaber erscheint, erkennt der Andere als Leben an.

Return of the Boom Letters

Um genau dieses Leben ging es am letzten Wochenende auf dem Graffiti-Festival „Return of the Boom Letters“. Schon während des Lockdowns fand sich das Kollektiv der Künstler zusammen um der befreundeten Bar „Klenze 17“ unter die Arme zu greifen. Sie verkauften mit Kunst versehene Bierdeckel. Die Einnahmen gingen an die Klenze 17. Warum nicht also ein Festival veranstalten wenn schon alle Künstler vor Ort sind? Oldschool und Newschool treffen sich an der Wand, Generationen der 80iger Jahre und heute malen für den Zusammenhalt und für die Verbindung. Mitveranstalter Lando erklärt das Festival zu einer Graffiti-Jam: Style und Character dominieren die Motive. Ein paar wenige Streetart-Einflüsse leben in Form von Portraits zwischen den Styles auf.

Unterstützung gab es – mit strengen Corona-Restriktionen – vom KVR. Die Förderung leistete das Kulturreferat. Brillux, Cocoon-Hotel, Loopcolors, Malermeister Ilker, Bahnwärter Thiel waren die Sponsoren hinter dem Event.

Ethik an der Wand

Melander „Lando“ spazierte mit mir an der berühmten Wand entlang, stellte mir die Crews vor, die alle friedlich an ihren Plätzen sprühten. Der selbstverständliche Frieden war unter Sprühern nicht immer vorhanden. Im letzten Jahr philosophierten Lando und ich über die ethischen Regeln hinter dem Übersprühen von Motiven. Als ich die City Slickaz fragte, ob sie am nächsten Tag bei Sonne weiter sprühen wollten, erklärten sie mir, dass es das Motiv morgen wahrscheinlich nicht mehr gäbe. Der Umgang unter dem Deckmantel der Anonymität ist teilweise rough. Hochwertige Kunst wird gern gnadenlos übersprüht von… Anfängern.

Ein Upgrade solcher Art hat es am Ende meiner Straße in den letzten Jahren nicht gegeben. Ich hoffe, dass die Kunstwerke eine Weile leben dürfen – im Schlachthofviertel München.  

Mitveranstalter Lando und ich vor der Wand
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Sabine Hanse
Sabine Hanse

Als „Jette“ tingele mit meiner Gitarre durch die Bars und begleite mich zum Gesang. Heartelier Magazine schreibt über Musiker*innen auf der ganzen Welt.

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