Er setzt ihnen die Tüte auf

Christian Böhmer

Der Köllner Künstler Christian Böhmer traut sich wonach ich mir nur sehne wenn ich einem unfreiwilligen Monolog lausche: er setzt ihnen eine Tüte auf den Kopf. Was ich vergeblich versuche durch Körpersprache zu transportieren, gelingt ihm besonders gut – die realistische Abbildung des Menschen und seine Sprache durch Gestik. Christian Böhmer drückt Emotionen aus indem er auf die Mimik verzichtet und nur über Gestikulation kommuniziert.

Christian Böhmer bei der Arbeit
Nika Kramer für Urban Nation Museum of Urban Contemporary Art, Berlin
Nika Kramer für Urban Nation Museum of Urban Contemporary Art, Berlin

Edward Snowden als Inspiration

Seine Motivation dahinter ist wesentlich tiefgreifender als die meiner Fantasie. Vor sieben Jahren enthüllte Edward Snowden das weltweite Netz eines Spionagesystems durch die NSA (National Security Agency) und des GHCQ (Government Communications Headquarter). Die „Five Eyes“ (USA, Großbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland) bilden ein Netzwerk für die lückenlose Überwachung elektronischer Kommunikation. In den USA gibt es seither gegen Snowden einen Haftbefehl wegen Spionage während das Europäische Parlament ihn als Menschenrechtler anerkennt.

Dieses Ereignis führte dazu, dass der Künstler aus Köln seine eigenen Werte hinterfragte. Dem einst selbsternannten Mr. Trash genügte es nicht, Wände mit Portraits zu bemalen. Der Umgang mit den eigenen Daten im Internet, das Teilen der privaten Ereignisse in den sozialen Medien, die Leichtfertigkeit mit dem Austausch fremder persönlicher Daten – Anonymität war fortan das Thema von Christians Arbeiten. Seither beleuchtet er die zwischenmenschlichen Beziehungen und appelliert an die harten Nutzer von Social Media, das reale Leben nicht aus den Augen oder besser aus den Händen zu verlieren.

Das Atelier in einer Squashhalle

Im realen Leben pendelt der Künstler zwischen Köln und Schweinfurt. In beiden Städten hat Christian ein Atelier. In Köln ist er in seiner Heimat zentral. In Schweinfurt malt Christian Böhmer ganz „bescheiden“ – nämlich in einer alten Squashhalle. Auf einem ehemaligen Militärstützpunkt der Amerikaner wurde ein Kulturzentrum gegründet. Fotostudios, Tonstudios und eben das Studio von Christian gibt es dort. Das Revier hat sich Christian natürlich mit einem Mural markiert. Über die Kuratorin Yasha Young wurde Christian mit der Künstlerin Hera von Herakut für ein Kollaborationsprojekt verbunden. Gemeinsam haben sie das Mural in Schweinfurt gemalt.  

Christian hat sich die Malerei autodidaktisch beigebracht. Als Kind lebte er in Mainz von wo aus der Künstler regelmäßig Europas größte Graffitihall in Wiesbaden besuchte um sein Handwerk zu perfektionieren. Angefangen mit Graffiti – erst Style, dann Character, Comic-Character und im Laufe der Zeit kam die realistische Malerei hinzu. Es gab kaum eine Technik, die er nicht wenigstens einmal ausprobiert hat bis er schließlich seinen Stil fand.  

Europas größte Graffitihall

Das Schlachthofgelände in Wiesbaden etablierte sich binnen zwei Jahren zu der größten Graffitihall Europas. Kunst- und Kulturschaffende verbündeten sich an diesem Ort und prägten die Graffiti- und Streetartszene durch eine wachsende Subkultur. Dieser Ruhm sollte leider nur von kurzer Dauer sein, denn schon im Jahr 2001 wurde der Schlachthof abgerissen – zum Leidwesen aller aufsteigenden Musiker und Maler. Damals ein Skandal und heute in der Erinnerung der urbanen Kunst.

Durch Zufall bei Wikipedia

Als kleinen Fun Fact erzählt mir Christian zum Schluss noch wie zufällig er an seinen Wikipedia-Eintrag gekommen ist. Der WDR hat die größten Städte NRWs portraitiert und jeweils einen Künstler dazu geladen. Christian Böhmer hat Köln vertreten und durfte eine Hausfassade bemalen. Durch reinen Zufall saß das Wikipedia-Büro in diesem Haus. Offenbar gibt es eine Art Komitee, das entscheidet welcher Inhalt bei Wikipedia aufgenommen wird. Ob dem Team nun die Themen ausgegangen sind oder Christian nur häufig genug durch das Fenster des Büros gewinkt hat – ich weiß es nicht. Auf jeden Fall darf er seither einen Eintrag über sich bei Wikipedia lesen.

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Sabine Hanse
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Als „Jette“ tingele mit meiner Gitarre durch die Bars und begleite mich zum Gesang. Heartelier Magazine schreibt über Musiker*innen auf der ganzen Welt.

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